Außen, später Nachmittag. Ein Alpengewitter zieht auf.

Einblendung: Die Benediktinerinnen-Abtei Sonnenburg im Bistum Brixon, Tirol.

Cusanus Tross reitet auf die mächtigen Außenmauern des Klosters Sonnenburg zu. Am Eingangstor, einem Zugtor (das in Szene 42 noch eine Rolle spielen wird), angekommen, steigen die Männer von ihren Pferden.

Lorenz Hammer, Cusanus Sekretär, löst sich aus dem Tross und tritt an das Tor. Es ist verschlossen. Er klopft, erst zaghaft, dann energisch. - Stille. Dann hört man, jenseits der Mauer, das Geräusch von Schritten. Eine Tür innerhalb des Tores wird geöffnet.

Mechtild von Vielseck, die dreißigjährige Dechantin des Nonnen-Klosters, tritt mit zwei weiteren Schwestern heraus. Ihre Bekleidung, eine geistliche Tracht überwiegend aus Samt und Seide, mit einer um die Hüfte herum gebundenen Pelzschärpe zeugt von dem Reichtum des Damenstifts, in dem ausschließlich Töchter aus adeligem Haus ihr Gelübde ablegen.

Mechtild von Vielseck mustert erst Hammer, dann die bewaffnete Eskorte und schließlich Cusanus, der in seinem Planwagen sitzt.

Hammer, im lauten, offiziell klingenden Ton zu Frau von Vielseck:

„Der Sondergesandte des Apostolischen Stuhls, Nikolaus Cusanuns, dem unser Heiliger Vater die Aufgabe übertrug, die Einheit der Kirche zu stärken und Euer Seelenheil mit Rat und Tat zu gestalten, gewährt dem Stift zu Sonnenburg die Ehre, ihn zu seinem Schutz vor dem Unwetter zu beherbergen“.

Frau von Vielseck bleibt unbeeindruckt: Pater Cusanus werde nicht hier in Sonnenburg, sondern in der Bischöflichen Residenz in Brixon erwartet.

Hammer, jetzt betont freundlich: Die Pferde seinen müde, sie könnten es vor dem Sturm...

Frau von Vielseck unterbricht ihn: Ihre Äbtissin, Frau Verena von Stuben, kehre erst in der Nacht zurück. Ohne ihr Einverständnis dürfe sie niemanden in das Kloster einlassen.

Cusanus, der alles mitgehört hat, beugt sich ärgerlich aus seinem Planwagen: Wenn das Stift ihm den Einlass verweigere, werde er dies Papst Eugen als Missachtung und Beleidigung des Heiligen Stuhls anzeigen. Der Name von Stuben sei in Rom bekannt, bekannt für Disziplinlosigkeiten. Und Disziplinlosigkeit beabsichtige Rom ohne jede Einschränkung zu beseitigen.

Ein Donnern des aufziehenden Gewitters unterstreicht Cusanus Worte.

Mechtild von Vielseck überlegt einen Moment lang, lenkt dann aber ein und bedeutet den beiden neben ihr stehenden Schwestern, das Tor zu öffnen.

 

Der Innenhof des Klosters Sonnenburg. Cusanus, die Dechantin Mechtild von Vielseck sowie etwa 40 Nonnen und Klosterschülerinnen.

Cusanus wird von Frau von Vielseck einen mit Säulen und Ornamenten verzierten Kreuzgang an der Seite des Innenhofes entlang geführt.

Cusanus bleibt stehen und blickt aus dem Gang heraus auf den Innenhof des Klosters: Im Zentrum steht ein großer Klosterbrunnen aus Stein, den ein offen gebautes Holzpavillon umschließt, über dessen Gebälk sich Blumen in vielfältigen Farben ranken. Umsäumt wird dieses Brunnenhaus von geschmackvoll angelegten Gartenwegen, Grünflächen und Blumenbeeten. Im Hintergrund erkennt man die Fassade der Stiftskirche und der Klosterschule.

Nonnen und Klosterschülerinnen, die offensichtlich bis eben in der kleinen, parkähnlichen Anlage die Sonne genossen, gepicknickt und sich erholt haben, packen wegen des bevorstehenden Gewitters ihre Sachen. Die Schülerinnen sind ausgelassen und scherzen untereinander. Die Nonnen tolerieren dies, einige von Ihnen lassen sich sogar von dem Gekicher der Mädchen anstecken.

Bedienstete tragen derweil die aufgestellten Gartentische und Stühle in die Häuser.

Die Nonnen tragen fest anliegende weiße Stirnbinden und darüber einen schmalen schwarzen, bis über die Schulter herabfallenden Schleier. Hierüber hinaus ist ihre Bekleidung aber nicht geistlich und von der ihrer jüngeren Klosterschülerinnen nicht zu unterscheiden: Sie Alle tragen relativ weit ausgeschnittene schicke sommerliche Oberkleider in bunten Farben aus fein genähten Stoffen, die am Oberkörper eng anliegen und ab der Taille weit bis zu den Füßen herabfallen.

Die sehr farbigen Bilder der ausgelassenen Nonnen und Mädchen in dem Blumengarten verleihen der Szenerie einen kunstvoll-malerischen, fast ein wenig überzeichneten Charakter.

Ein leichter Regenschauer setzt ein. Die Kamera, die bis jetzt Cusanus Blicken folgte, fährt hoch in die Halbtotale:

Überrascht von der einsetzenden Nässe fangen alle Klosterschülerinnen und auch einige Nonnen laut und schrill zu kreischen an, so, als ergieße sich auf sie gerade ein kalter Sturzbach. Dann ergreift die gesamte Damengesellschaft zugleich die Flucht, um schnellstmöglich die Gebäudeeingänge zu erreichen. Nur die Bediensteten fahren in dem einsetzenden Regen völlig ungerührt fort, das Gartenmobiliar abzubauen und wegzutragen.

Als das Geschrei verebbt, dreht sich Cusanus zur Dechantin von Vielseck, die etwas weiter im Gang auf ihn wartet. Cusanus, sichtlich ungehalten: Benehmen und Bekleidung der Nonnen seien eines Klosters unwürdig. Die Sonnenburger seien von Adel und leben im Wohlstand, besitzen aber keinerlei geistlichen Anstand.

Frau von Vielseck ignoriert diese Bemerkungen: „Beeilt Euch! Es fängt schon zu gewittern an“.

Dann verschwindet sie durch eine Tür im Haupthaus.