Kues. Haus der Familie Krebs. Arbeitszimmer des Cusanus. Personen: Cusanus und Piccolomini.

Der Italiener hat ein dickleibiges Buch in der Hand und blättert die Seiten um. Er betrachtet - und mit ihm die Kamera - die eindrucksvollen Zeichnungen darin. Währenddessen er­zählt er, dass Papst Eugen - Gott hab ihn selig - kein großer Freund des geschriebenen Wortes gewesen war. Aber seit ihr gemeinsamer Freund Parentucelli - Nikolaus V. - zum Nachfolger Petri gewählt worden sei, würde in Rom eine umfassende Bibliothek eingerichtet.

Piccolomini legt das Buch aus der Hand - zum Zeichen, dass er Cusanus etwas Ernstes und Wichtiges mitteilen will.

Piccolomini: Kardinal Cesarini sei im Kampf gegen die Mohammedaner, in der Schlacht bei Warna gefallen.

Cusanus vorherige Freude über den Besuch Piccolominis ist wie weggeblasen. Mit Entsetzen und Trauer blickt er seinen Freund an. Dann schlägt er die Augen nieder und beginnt mit leiser Stimme zu beten: „Gott sei sein Wegbegleiter beim Übergang in das ewige Leben. Er trete mit ihm durch das unbekannte Tor des Todes, hinein in das Licht, dorthin, wo er Frieden und Ruhe findet.“

Piccolomini tritt auf Cusanus zu und berührt ihn sanft: „Trauere, aber erfülle nun auch unserem Freund und Hirten Parentucelli gegenüber Deine Pflicht“.

Cusanus besinnt sich langsam wieder und Piccolomini erläutert ihm, was Parentucelli will:

Parentu­celli erwarte von ihnen - Cusanus und Piccolomini - unverzüglich po­litische Erfolge, was die deutschen Fürsten angehe. Beide sollen sie ihre Arbeit wieder aufnehmen und den stur in der Neutralität verhar­renden Adel auf die papale Seite ziehen. Und zwar sofort. Denn es gel­te eine günstige Gelegenheit auszunutzen. König Friedrich, der völlig bankrott sei, habe von Parentucelli Geld und die Kaiserkrone in Aus­sicht gestellt bekommen, falls er sich zu Rom bekenne. Friedrich habe daraufhin keine Sekunde gezögert, Parentucelli als das wahre Ober­haupt der Kirche anzuerkennen. Der "Kauf" würde auch die renitenten Fürsten in sich gehen lassen.

Nikolaus Körper versteift sieht. Das Echo eines Schocks spiegelt sich in seinem Gesicht. In einem Ton, der leichte Angst verrät, antwortet er, dass ihn Parentucellis Angebot ehre. Aber auf dem letzten Reichs­tag in Frankfurt, auf dem er gesprochen habe, sei er von einem Konziliaristen, dieser Schlangenbrut, öffentlich der Ketzerei bezichtigt worden. Nur durch heimliche Flucht aus der Stadt hätte er sich vor seiner Ermor­dung retten können. Piccolomini lächelt belustigt. Cusanus, erklärt er, leide an Wahnvorstellungen. Wäre er noch ein paar Minuten im Saal des Reichs­tags geblieben, so hätte er den Fortgang des unwürdigen Schauspiels sehen können. Er, Piccolomini, und die Papalen hätten den Aufruhr sofort wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Seine, Cusanus, Flucht sei ohne Grund erfolgt - es sei denn, Panik sei ein Grund. Niemand habe Cusanus verfolgen oder gar ermorden wollen.

Cusanus ist für einen Moment peinlich berührt. Das Gemüt, meint er, spiele ihm in letzter Zeit häufig solche Streiche. Aber selbst wenn Piccolominis Worte wahr und er folglich ein Feigling, ein Deserteur wäre, der wegen einer eingebildeten Gefahr vor der Ausübung seiner heiligen Pflichten davongelaufen wäre, so könne er gerade aus diesem Grund nicht mehr in den Dienst der Kirche zurückkehren. Wie gesagt, das Gemüt gaukle ihm in Augenblicken der Gefahr die schrecklichsten Bilder vor: Folter, Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, Zerstückelung bei lebendem Körper...Nein, er sei bald fünfzig Jahre alt und habe in Kues seine Ruhe gefunden. Hier, in seinem Haus, umsorgt von seiner Schwester könne er sich für den Rest seines Lebens ganz der Philosophie widmen. Wenn er morgens erwache, habe er schon so viele Gedanken im Kopf, dass er bis spät in die Nacht schreiben müsse, um alle seine Ein­fälle zu Papier zu bringen. Gott, das habe er gerade in den letzten Tagen noch einmal durchdacht, sei das Können-Sein, das Können, das jedem anderen Kön­nen vorausgehe...

Piccolomini unterbricht unwillig seinen Redefluss. Er ist nicht gewillt, sich philosophische Exkurse anzuhören. Die Philosophie sei eine sinn­volle Beschäftigung - für Greise. Sie schütze erwiesenermaßen vor der Senilität. Aber für einen Mann seines Alters und Formats sei die Tat angemessen.

Cusanus breitet einige Pergamente auf dem Arbeitstisch aus, die einen Bauplan zeigen. Er gesteht nochmals, dass er politisch resigniert habe. Er habe seinen Willen, die Welt zu verändern, begraben. Abseits von Not und Elend wolle er deshalb eine eigene kleine Welt bauen – so, wie er sich die große Welt in seinen Phantasien ausgemalt habe. Er deutet auf die Baupläne. Am Ufer der Mosel soll ein Hospital entstehen, in dem 33 alte, arme und abgearbeitete Menschen ihren Lebensabend verbringen wer­den. 33 - so viele, wie unser Herr Jesus an Jahren auf Erden geweilt hat. Dieses Hospital, erklärt er pathetisch, werde man einmal als sein Lebenswerk bezeichnen. Es sei sein Vermächtnis an die Nachwelt und werde noch be­stehen, wenn der gescheiterte Politiker Cusanus längst vergessen sei.

Piccolomini wirft einen flüchtigen Blick auf die Zeichnungen und lä­chelt milde. Dann erklärt er entschieden: Dies sei kein Lebenswerk, sondern ein Denkmal. Und wenn er jetzt politisch resigniere und sich vor einer großen, die Rettung des Abendlandes betreffende Aufgabe drücke, so sei das Hospital nicht einmal ein Denkmal, sondern ein Gebäu­de, das seine Schande symbolisiere. Ohne jede Behutsamkeit rollt Picco­lomini die Pläne zusammen und drückt sie Cusanus in die Hand. Künftige Generationen werden sich erzählen, dieses Hospital sei von einem Manne errichtet worden, der seiner Bestimmung, für den Sieg der heiligen Kirche zu kämpfen, untreu geworden sei. Zurecht werde man sagen: Im Haus eines Verräters wolle man nicht wohnen. - Schön, das Hospital soll gebaut werden - aber es soll den nach uns lebenden Menschen den Ruhm eines großen und nicht des eines kleinmütigen Mannes verkünden. Cusa­nus solle die Aufsicht der Arbeiten an dem Gebäude in die Hände seiner Schwester Clara und deren Mann legen. Beide würden sich über die Ehre freuen.

Piccolomini tritt jetzt ganz nah an Cusanus heran und streichelt zärtlich seine Wange - eine Geste, die dezent, aber unverkennbar homoerotisch gefärbt ist. Dabei spricht er in leisen, aber ein­dringlichen Worten, Cusannus solle um des Freundes Parentucelli und um der Kirche willen mit ihm kommen.

Cusanus seufzt. Clara – er liebe seine Schwester und habe ihr ver­sprochen, bei ihr zu bleiben. Er würde sie maßlos enttäuschen, wenn… Diese Angelegenheit, fährt Piccolomini dazwischen, werde er in die Hände nehmen. Cusanus solle sich um seine Schwester keine Sorgen ma­chen. Er werde mit ihr reden. - Zum Zeichen der Liebe, aber auch zum Zeichen dafür, dass der Pakt besiegelt ist, drückt er Cusanus einen Kuss auf den Mund.

 

Haus der Familie Krebs. Küche. Clara und Piccolomini.

Über einer Feuerstelle hängt ein Kochtopf, in dem eine rote Soße dampft. Cla­ra schnuppert neugierig. Sie ist vergnügt. Nachdem sie die Soße gekostet und gelobt hat, wendet sie sich Piccolomini zu und beob­achtet, wie er den Teig zu extrem langen Fäden rollt (Die Art, wie dies damals gemacht wurde, muss noch geklärt werden).

Clara sagt, sie wünschte sich, Piccolomini könnte bei ihnen bleiben. Ihr Bruder leide oft an krankem Gemüt, und er, Piccolomini, besitze die Gabe, Nikolaus neuen Lebensmut zu geben.

Der Italiener hakt ein: Diese Aufgabe habe er sich gestellt. Der Bruder werde wieder der alte, tatkräftige Mensch werden. Jedoch nicht hier, in Kues. Er werde sei­ne unvollendete Aufgabe wieder aufnehmen. Clara: Das bedeute Ab­schied.

Piccolomini: Das einzige Problem sei, dass Nikolaus befürchte, ihr, Clara, würde das Herz brechen, wenn er fortgehe.

Clara: Es sei so. Sie müsse bei diesem Gedanken gegen ihre Tränen ankämpfen. Sie liebe ihren Bruder, wie man nur einen Menschen lieben könne. Doch sie erinnere sich, wie er schon als Kind Papst oder Kardinal gespielt habe. Er habe schon früh eine große, von Gott in seinem Herzen einge­pflanzte Berufung gespürt, von der er geglaubt habe, sie verpflichte ihn zu ruhmreichen Taten. Aus diesem Grund habe sie auch verstehen können, weshalb er damals von zuhause weggegangen sei.

Piccolomini: Wenn es gelingen würde, die deutschen Fürsten zu "bekeh­ren", sei Nikolaus der rote Hut sicher. Sie sei dann die Schwester eines bedeutenden Kardinals.

Der Appell an Claras Stolz verfehlt seine Wirkung. Clara: Darauf kom­me es ihr nicht an. Nikolaus sei ein gebrochener, verzagter Mann, der sich in die Philosophie und in die Pläne für den Bau des Hospitals geflüchtet habe. Er habe sich bei ihr, in Kues, vergraben. Darunter leide sie. Sie wünsche sich einen Bruder, der wieder unverzagten Her­zens sei.

Piccolomini zieht einen Teigfaden aus dem Topf und kostet, ob er "trocken" ist. Er erklärt Clara, dass die Fäden nicht aneinander kleben dürften - darin bestehe die Kunst der Zubereitung. - Ohne Über­gang: Sie stelle sich Nikolaus also nicht in den Weg?

Clara: Ihr sei ein ferner Bruder, der tut, was Gott ihm auferlegt hat, lieber als ein verzweifelter Bruder, der in ihrer Nähe sei.

 

Kues. Haus der Familie Krebs. Die Wohnstube. Personen: Gusanus, Clara, ihr Mann Paul von Bristge und Piccolomini (Die Teigfaden-Szene soll sich durch ihre Situationskomik auszeichnen).

Cusanus, Clara und ihr Mann sitzen am Tisch und beäugen das unbekannte Gericht. Mitten auf dem Tisch steht eine große Schale, in der die Teig­fäden dampfen. Daneben eine Schale mit einer roten Fleischsoße. Piccolomini führt vor, wie man die fast meterlangen Fäden mit Hilfe eines Löffels auf die Gabel rollt. Dann schaut er das Trio erwartungs­voll an. Nach einer kurzen Pause riskiert es Paul von Bristge als er­ster. Er nimmt aus der Schüssel eine Portion Fäden und will sie auf seinen Teller legen. Doch der glatte Teig rutscht ihm vom Besteck und fällt auf den Tisch. Er greift mit den Händen nach den Fäden und packt sie sich auf den Teller. Daraufhin übernimmt es Piccolomini, die ande­ren Teller zu füllen.

Außer Piccolomini, der wie ein Artist die Nudeln um die Gabel dreht, fühlt sich die Gesellschaft überfordert. Nur Clara gelingt das Ritual halbwegs, weil sie nur jeweils einen Faden um ihre Gabel rollt. Cusa­nus und von Bristge drehen die Fäden nicht so geduldig, so dass sie pendeln und dabei Soßen-Tropfen verspritzen. Clara läuft in die Küche und besorgt Schürzen - drei, denn Piccolomini braucht natürlich keine. Besonders Claras Mann zeigtsich unbeholfen. Denn die tückischen Fäden entrollen sich, sobald er sie auf die Gabel gedreht hat. Piccolomini erklärt ihm, er halte die Gabel falsch. Vor allem müsse er die Zacken der Gabel mehr nach oben halten, damit ihm die Nudeln nicht immer von der Gabel gleiten. Bristge gelingt es, die Anweisung zwei, drei Mal zu befolgen. Als er sich dann wieder die Gabel in den Mund schieben will, rutschen ihm die Fäden erneut weg und er betrachtet mit leerem offenem Mund das Malheur.

Nikolaus hat ebenfalls zu kämpfen. Da auch er die Fäden nicht ganz auf die Gabel rollt, muss er - wie Bristge - die Enden in den Mund saugen oder wie ein Hund danach schnappen. Be­sonders beim Saugen entstehen unangenehme Geräusche. Schlauerweise hat sich Cusanus nur ganz wenige Fäden auf seinen Teller legen lassen, da er schon im Voraus geahnt hat, dass er mit diesem Gericht nicht fertig wird und nicht den Widerwillen des Ästheten Piccolomini erregen will. Den erregt Bristge, der sich die Enden seiner aus dem Mund hängenden Fäden mit den Fingern in den Mund stopft, und zwar trotz Claras zurechtweisenden Blicken.

Die Mühe, die der Verzehr des Gerichts kostet, lässt kaum ein Ge­spräch aufkommen. Stattdessen: Gesten der Hilflosigkeit wie Kopf­schütteln, Seufzer und traurige Blicke auf die Teller. Die Nie­derlage wird aber erst als perfekt erlebt, wenn die Fäden auf den Fußboden fallen und man sich beugen muss, um sie einzusammeln. Da­nach weiß man nicht, wohin mit ihnen. Schließlich stellt Cusanus seinen Teller zur Verfügung. Piccolomini, der anfangs noch Tipps gegeben hat, konzentriert sich jetzt derart auf sein Essen, dass er die Ungeschicklichkeit der anderen nicht mehr zu bemerken scheint.

Schließlich kommt Bristge eine Idee: Er zerteilt mit seinem Löffel die Nudeln in kleine Stücke und rührt sie in der Soße, um sie dann wie eine Suppe zu essen. Diesen Trick hat der scheinbar unbeteilig­te Piccolomini sofort bemerkt. Er ist entsetzt. Das gehe gegen jede Esskultur. Also muss Bristge seinen Kampf wieder aufnehmen. Als er sich mit dem Ärmel seinen von der Soße verschmierten Mund abwischen will, kann das Clara mit einem bösen Blick gerade noch ver­hindern. Er nimmt die Schürze. Schließlich ist der Tisch von Flecken gezeichnet, die kraft der Soßenfarbe leuchten und - als der Tisch abgeräumt ist - ein Muster ergeben, so als habe ein Maler die Kleckse bewusst platziert. Dann wischt Clara die Flecken weg.

Nachdem das Martyrium vorüber ist, überschlagen sie sich in ihrem Lob über Piccolominis Kochkünste. Sie versprechen, die Technik, die dieses hervorragende Gericht fordere, gründlicher zu üben. Piccolomini glaubt dies. Deutlich wird das, als er Clara ein paar Rezepte verspricht, damit sie die Soßen variieren kann.

Dann erklärt er: Im Nachhinein habe der köstliche Schmaus eine besonde­re Bedeutung gewonnen. Cusanus und er hätten sich entschlossen, wieder Täubchen fliegen zu lassen, diesmal über den Häuptern der immer noch zaudernden deutschen Fürsten und Grafen. Man werde nicht mehr nur auf den Reichstagen sprechen, sondern sich die Herren einzeln vornehmen. Er hebt sein Glas. So sei aus dem gelungenen Mahl ein Fest- und Abschieds­mahl geworden. Er trinkt, die anderen ebenfalls.