Der Gästetrackt im Haupthaus des Klosters, Cusanus Zimmer, später Abend.

Cusanus sitzt in einem großen Gästezimmer am Schreibtisch. Direkt über ihm hängt ein überdimensionales Portrait eines etwa dreizehnjährigen recht pausbäckigen blonden Jungen, den ein unter dem Bild befindlicher Schriftzug als Herzog Sigismund von Tirol ausweist (Sigismund ist im Alter von 13 Vollwaise und damit Herzog. Er wird später der weltliche Schutzherr des Nonnenstiftes und in Szene 47 auftreten).

Cusanus schreibt, kann sich aber - offensichtlich wegen des Bildes - nicht richtig konzentrieren. Er blickt immer wieder von seinem Papier zu dem Bild auf. Dann schweift sein Blick plötzlich zur Seite, durch das Fenster auf den Klosterhof, der bis eben fast vollkommen im Dunkeln lag.

In der Basilika geht ein Licht an, sie wird jetzt von innen mit Kerzenfackeln beleuchtet.

Cusanus verharrt einen Moment mit seinem Blick auf dem Fenster, dann steht er auf, geht zur Tür und verlässt das Zimmer.

 

Die Stiftskirche des Nonnen-Klosters. Innen. Nacht. Cusanus und Äbtissin Verena.

Cusanus betritt durch einen Seiteneingang den Innenraum der Kirche. Leise schließt er die Türe hinter sich. Sein Blick schweift über die leeren Bank­reihen zum Altar hin, der von einem Dutzend brennender Kerzen erleuchtet ist. Cusanus - und mit ihm der Zuschauer - entdecken den Rücken einer Frau, die, neben dem Hochaltar, vor einer Heiligenfigur steht. Außer dem Rücken erfasst Cusanus Blick noch die Hände der Nonne. Sie streicheln die Heiligenfigur, als handle es sich um einen lebendigen Mann. Die auf einem Steinsockel stehende Statue ist etwa ein Meter groß und trägt ausgeprägte maskuline Züge.

Cusanus, ebenso erstaunt wie reglos dastehend, beobachtet, wie die Intensität der Zärtlichkeit, mit der die Hände die Figur betasten, zunimmt. Ein Seufzer der Nonne betont den sinnlichen Charakter ihres Tuns.

Ohne seinen Blick abzuwenden bewegt sich Cusanus lautlos durch eine Bank­reihe zum Mittelgang der Kirche. Die Kamera folgt ihm. Schließlich kommt das Gesicht der etwa dreißigjährigen Äbtissin Verena ins Bild. Dass es sich bei der Nonne um die Äbtissin handelt, muss von vornherein atmosphärisch klar sein. Die Kamera erfasst zunächst nur das Halbprofil, das den Betrachter sofort ge­fangen nimmt. Das Gesicht besitzt nichts von der Demut und Keuschheit einer Nonne. Es ist auch nicht hold, wie das eines Burgfräuleins. Vielmehr strahlt es ein weibliches Selbstbewusstsein aus, das den Zuschauer reizt, ihn provo­ziert. Eine starke Persönlichkeit kennzeichnet dieses Gesicht, ein neuer Frauentyp, wie ihn zum Beispiel Botticelli in der "Prima Vera" ge­schaffen hat.

Verenas Körper spannt sich - zum Zeichen, dass sie aus ihrer sinnlichen Versunkenheit erwacht ist. Reglos bleiben ihre Hände auf dem Brustkorb der Fi­gur liegen. Plötzlich dreht sie sich um, so dass sie und Cusanus sich zwar aus einiger Distanz, jedoch jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.

Sie taxiert Cusanus kühl, der noch immer in ihrem Bann steht. Obgleich sie sich denken kann, dass er sie bei einer Handlung ertappt hat, die auf unkeusche Gedanken schließen lässt, ist in ihrem Gesicht keinerlei Scham zu erkennen.

Verena löst ihren Blick von Cusanus und verlässt wortlos die Kirche durch eine kleine Tür, die sich neben dem Altar befindet.

Cusanus fasst sich. Er geht jetzt gleichfalls zu der Tür, hinter der Verena verschwunden ist. Er öffnet sie und blickt in das Halbdunkel eines Raumes, der nur von dem durch die geöffnete Tür fallenden Lichtkegel der Altarkerzen beleuchtet wird. Schemenhaft wird erkennbar, dass es sich um die Sakristei handelt.

Cusanus nimmt eine Kerze vom Altar und betritt die Sakristei. Er schließt die Türe, hält die Kerze hoch und schaut sich um. Verena hat den Raum bereits durch eine zweite Tür verlassen. Cusanus tritt an einen Tisch, auf dessen weißer  Decke  einige Gegenstände und Devotionalien stehen. Über dem Tisch hängt ein Gemälde, aufdem die Mutter Gottes das Jesuskind in ihren Armen hält.

Cusanus streckt den Arm höher, so dass die Kerze in seiner Hand das Bild bes­ser beleuchtet. Das Gesicht der Maria kommt jetzt groß ins Bild. Es hat einen zärtlichen, innigen Ausdruck; ihr Blick, der auf das Christuskind gerichtet ist, wirkt wie eine Liebkosung. Jedoch fällt deutlich ins Auge, dass dieses Gesicht dem der Äbtissin ähnelt. Nase, Mund, Augen, die ganze Form des Kopfes verrät, dass Verena dem Maler Modell gestanden hat.

Plötzlich hört Cusanus, wie eine Tür geöffnet wird. Erschrocken dreht er sich um, wobei die Kerze erlischt. Gleichwohl erkennt er, dass Verena den Raum be­treten hat. Die Äbtissin geht an ihm vorbei, öffnet die Tür zum Altarraum und kehrt mit einer neuen, brennenden Kerze zurück. Dabei lässt sie die Türe offen, außerdem zündet sie weitere Kerzen an, die an den Wänden der Sakristei ange­bracht sind. Cusanus beobachtet den Vorgang stumm, doch spiegelt sich in seinem Gesicht nicht mehr die Sprachlosigkeit von vorhin wieder. Die Frau hat sichtbar an Faszination für ihn verloren.

Die Äbtissin lässt sich auf einen Schemel nieder und bedeutet Cusanus mit einer Handbewegung, sich gleichfalls zu setzen. Doch Cusanus wendet sich wieder dem Gemälde zu und betrachtet es erneut. Mit dem Rücken zur Kamera - und damit auch zu Verena - sagt er:

„Wahre Schönheit ist eine von Gott geschenkte Gnade. Sie ist die Form, in der das Gute sich zeigt. Deshalb sind das wahrhaft Gute und das wahrhaft Schöne eins. Zweifellos ist die Hand des Künstlers von dieser tiefen Erkenntnis ge­führt worden“.

Cusanus dreht sich zu Verena um und setzt sich auf den Schemel, den sie ihm eben angeboten hatte. Dann fährt er fort: Es müsse sich um einen genialen Künstler handeln, denn das Modell, das er sich für die Darstellung unserer aller Mutter ausgesucht habe, besitze diese einzig wahre Schönheit nicht. Die Schönheit des Modells sei lediglich Schein, Blendwerk. Zumindest glaube er, Cusanus, dies.

Die Äbtissin starrt den Kardinal einen Moment lang mit völlig ausdruckslosem Gesicht an, so dass man nicht weiß, ob sie sich getroffen fühlt. Nach einem kurzen Schweigen erklärt sie, in einem kühlen und selbstbewussten Ton: Er, Cusanus,  sei gewiss nicht gekommen, um über ihr Äußeres zu diskutieren.

Wieder ein kurzes Schweigen. Cusanus darauf: Er sei auf der Durchreise, zum Reichsfürstentag nach Mainz. Er habe Schutz vor dem Gewitter gesucht und -Cusanus macht eine kurze Pause- er sehe, Sie, Verena, missachte die Regeln.

Verena: „Welche Regeln? Eure Regeln? Diese sind hier in Sonnenburg nicht gültig“.

Cusanus, im Ton unbeirrt: „Selbst der Heilige Vater in Rom sorgt sich. Ihr missachtet Eure geistliche Verpflichtung“.

Cusanus steht auf und tritt wieder zu dem mit einem weißen Leinentuch bedeckten Tisch mit Devotionalien, auf dem auch ein leerer Abendmahlskelch liegt, an dem noch Rotweinreste kleben. Cusanus nimmt eins der daneben liegenden Kelchtücher und beginnt den Kelch mit kurzen, sorgfältigen Bewegungen zu putzen.

Cusanus, während er den Kelch mit dem Tuch wischt: Einfache Ernährung, stündlich feste Gebetszeiten, dazwischen Schriftlesung, Arbeit und Schlaf. Dies sei alles, was einer Benediktinerinnen-Nonne zustehe.

Cusanus unterbricht seine Tätigkeit und sein Ton wird plötzlich lauter: „Zucht und Maß! Ihr habt ein Gelübde abgelegt, auf den heiligen Benedikt geschworen. Also haltet Euch an seine Regeln“.

Verena erhebt sich jetzt auch und steht vor ihrem Schemel: Er, Cusanus, habe ihr gar nichts vorzuschreiben. Er sei ein politischer Gesandter des Papstes im geistlichen Stand eines Priesters. Falls sie, Verena, geistlichen Beistand benötige, werde Sie sich gewiss nicht an ihn, Cusanus, sondern an ihren Bischof in Brixon wenden.

Cusanus, mit dem kurzen Anflug eines Lächelns, hört auf zu putzen und legt das Tuch beiseite: Der Bischof sei handlungsunfähig, das Bistum Brixon völlig überschuldet. Gläubiger seien die hiesigen Tiroler Stände. Sie haben mit ihren Krediten den Bischof in ein gehorsames Schaft verwandelt.

Cusanus, immer noch den Kelch in seiner rechten Hand haltend, tut einen Schritt auf Verena zu:

Das Stift Sonnenburg sei wohlhabend. Sonnenburg besitze weit über 400 Meier- und Zinshöfe. Sie, Verena, beutet diese Lehen reiflich aus und verschwende Alles zu Ihrer eigenen üppigen Versorgung und der ihrer adeligen Schwestern. Dies sei nicht nur verwerflich, dies sei Diebstahl! Die Lehen und sämtliche Einnahmen daraus gehören von Rechts wegen der römischen Kirche. 

Verena entgegnet Cusanus ebenso scharf wie selbstbewusst: Sie und ihre Vorgängerinnen haben die Sonnenburg selbst, ohne Hilfe Roms, erschaffen. Sie und ihre Vorgängerinnen haben die Sonnenburg durch eigene Hände Arbeit erblühen lassen. Die Sonnenburger seinen kraft des ihnen einmal verliehenen Rechtes weltlich eigenständig. Und sie würden dies auch für immer bleiben. Die Tiroler Stände garantieren dies, auch mit ihren Truppen.

Verena rafft den Rock ihres Kleides und macht Anstalten zu gehen, bleibt dann aber noch einmal stehen.

Zu Cusanus: Sie betrachte die Unterredung als beendet. Er, Cusanus, genieße hier keinerlei Gastfreundschaft. Er sei käuflich und habe auf dem Konzil zu Basel den Adel und damit das Reich verraten. Er sei nun ein Vasall Roms.

Es entsteht ein Moment eisigen Schweigens, den, während Cusanus noch seinen anwachsenden Zorn zu beherrschen sucht, Verena bricht: Er, Cusanus, könne mit seinem Tross noch bis zum Morgengrauen bleiben. Danach werde es ihren Klosterknechten eine Freude sein, ihn, Cusanus, aus Sonnenburg für immer hinauszuwerfen.

Die beiden sehen sich jetzt direkt in die Augen. Dann holt Cusanus in einem Anfall von Jähzorn mit dem Kelch, den er mit seiner rechten Hand gepackt hält, aus, um ihn gegen Vere­na zu werfen. Doch im letzten Moment besinnt sich Cusanus, dass er ein sakrales Gerät in der Hand hat, und bricht die Bewegung ab. Tief atmend stellt er den Kelch auf den Tisch zurück und deckt ihn, vom Zorn noch zitternd, mit einem Tuch ab. Als er sich wieder umdreht, hat Verena die Sakristei bereits verlassen.

Während Cusanus ver­sucht, seine Wut niederzuringen, blendet die Szene aus.

 

Der Gästetrackt im Haupthaus des Klosters. Innen, Nacht.

Cusanus geht hastig einen von nur wenigen Kerzenfackeln beleuchteten Flur entlang und erreicht die Schlafkammer seines Sekretärs Lorenz Hammer. Er betritt sofort das Zimmer und beugt sich über das Bett des schlafenden Hammer.

Cusanus, während er den schlafenden Hammer an die Schultern fasst: „Wir brechen auf. Sofort!“

Hammer beginnt sich zu bewegen und kommt langsam zu sich.

Cusanus packt ihn jetzt an beiden Schultern und schüttelt ihn: „Los jetzt! Wir müssen das Kloster verlassen! Das ist ein Befehl!“.

Cusanus löst seinen Griff, weil Hammer sich aufrichtet: Hammer solle Pferde und Wagen bereit machen und auf dem Hof warten. Er, Cusanus, hole die Anderen. 

Cusanus verlässt eilig das Zimmer.